Anfallsartiges Herzrasen (Paroxysmale supraventrikuläre Tachkardien)
Ohne ersichtlichen Grund rast das Herz nach einem kleinen Stolperschlag einfach los. Das Herzrasen startet plötzlich, bleibt über Minuten bis Stunden, und als hätte jemand einen Schalter umgelegt, ist es abrupt dann wieder vorbei. Schuld ist eine kleine Extrabahn. Erfahre hier alles über die AV-Knoten-Tachykardie und das Wolff-Parkinson-White-Syndrom.
So fühlt sich eine paroxysmale Tachkardie an
Was genau ist eine paroxysmale Tachykardie?
AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT)
Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW)
Was kannst du selbst tun, um den Anfall zu stoppen?
Diagnose – so wird sie gestellt
Katheterablation bei paroxysmalen Tachykardien
Ist ein WPW-EKG (ohne Herzrasen) eine Zeitbombe?

1. So fühlt sich eine paroxysmale Tachkardie an
Lina war 25, als das erste Mal das Herzrasen auftrat. Der Notarzt musste in den nach Lavendel duftenden Fitnesstempel eindringen – ins "RuheWerk", ein Pilates-Studio, in dem sonst nur körperzentrierende ätherische Düfte und sanfte Klänge durch den Raum schweben.
Dabei war vorher alles normal gewesen. Morgens Vorlesungen, dann ein Iced Coffee mit Marie und danach Pilates im "RuheWerk".
Lina hielt den Unterarmstütz, atmete brav weiter, es brannte im Bauch und dann, ganz plötzlich raste das Herz. Nicht so wie bei Anstrengung, sondern so richtig, richtig schnell. Das gedimmte Licht verschwamm und die entspannter Musik nervte plötzlich. Lina legte sich auf die Matte, aber das Herz raste einfach weiter. Als wäre einem ICE auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke die Bremse kaputt gegangen.
Marie schaut irritiert rüber. "Alles gut bei dir? Du siehts so blass aus?"
"Alter, mein Herz ballert plötzlich... wie so'n Maschinengewehr in der Brust. Ohne Witz, ich glaub, ich kipp gleich um."
Marie sprang sofort auf. "Hast du eine Panikattacke, Lina? Oder einfach zu viel Kaffee getrunken? Bist du krank und hast trotzdem trainiert? Setz dich hin. Atme mal tief... soll ich Wasser holen?"
Lina schwankte, setzte sich auf ihre Matte. Ihr Atem ging flach, das Herz stolperte wie verrückt.
Ein paar andere Kursteilnehmerinnen drehten sich um, die Trainerin tastete nach Maries Puls und legte ihre Füße auf einen Stuhl. Im Raum war es plötzlich alles andere als zen.
"Leute, ich ruf einen Krankenwagen", sagte Marie, schon mit dem Handy am Ohr.
Fünf Minuten später kam der Notarzt. Direkt ins Studio, zwischen Yogamatten, Trinkflaschen und Dinkelkekse. Die Trainerin hielt den Vorhang zur Seite, während der Arzt ein EKG-Gerät anschloss.
Er warf einen Blick aufs Display, dann nickte.
"Das ist eine sogenannte paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie – kommt bei jungen Frauen häufiger vor. Harmlos, aber unangenehm."
Er zog eine Spritze auf.
"Ich geb dir jetzt Adenosin. Das stoppt kurz den Herzschlag – dann springt er neu an. Klingt wild, ist aber absolut sicher."
Lina sah kurz panisch aus. Marie drückte fester ihre Hand.
"Ich bin da. Alles gut."
Der Effekt war sofort spürbar da: Ein kurzer Moment, in dem es sich heiß anfühlte in der Brust, so als könne sie nicht atmen, so als würde der Brustkorb platzen. Eine Millisekunde in der sich alles "weg" anfühlt – dann bumm, das Herz schlug wieder normal. Rhythmisch. Und plötzlich fühlte sich alles wieder leicht an.
Zwei Wochen später saß Lina bei mir in der Praxis. Sie wollte wissen: "Soll ich das veröden lassen? Bin ich dann geheilt? Was, wenn ich nichts mache?"
2. Was genau ist eine paroxysmale Tachykardie?
"Paroxysmal" bedeutet "plötzlich auftretend" – das Herz rast ohne Vorwarnung los und bleibt dabei oft im Bereich von 150–220 Schlägen pro Minute. Diese Anfälle kommen plötzlich und hören genauso plötzlich wieder auf. Eben als würde man einen Schalter umstellen. Die Dauer ist ganz unterschiedlich, manchmal klopft das Herz nur für Minuten, manchmal dauert es einige Stunden und manchmal hören die Anfälle nicht von selbst auf – oder eben nur mit Hilfe.
Die Ursache liegt fast immer in einer elektrischen Kurzschlussstrecke im Herzen, die einen Kreisverkehr bildet.
Welche Arten gibt es?
Die zwei häufigsten Formen sind:
3. AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT)
Hier gibt es zwei Leitungsbahnen im AV-Knoten (der Knoten, der Vorhof und Kammer elektrisch verbindet): eine schnelle und eine langsame. Durch einen. harmlosen Extraschlag kann der Impuls im Kreis laufen – ein Reentry entsteht. Das ist die häufigste Form bei jungen, gesunden Frauen wie Lina.
4. Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW)
Hier gibt es eine zusätzliche Leitungsbahn (sog. akzessorische Bahn), die den elektrischen Impuls vom Vorhof zur Kammer außerhalb des AV-Knotens weiterleiten kann. Auch hier entstehen Kreisbewegungen, teils mit sehr schnellen Frequenzen.
Im Mutterleib haben wir alle mehrere elektrische Verbindungen zwischen Vorhof und Kammer. Normalerweise bilden diese Extrabahnen sich bis zur Geburt zurück und der AV-Knoten ist die einzige Elektrische Verbindung zwischen Vorhof und Kammer.
Aber bei ungefähr drei von 1000 Menschen bleibt eine Extrabahn bestehen. Diese Extrabahn ist im EKG als "Deltawelle" zu sehen. Nicht jeder Mensch mit einer Deltawelle bekommt Herzrasen.
Bei manchen Menschen ist die Deltawelle manchmal zu sehen und manchmal nicht.
Und manchmal ist ein Extrabahn da, die nur rückwärts leitet, die ist im normalen EKG nicht zu sehen. Durch einen Extraschlag aus der Herzkammer kann aber auch hier eine elektrische Kreisbewegung ausgelöst werden und Herzrasen auftreten.
5. Was kannst du selbst tun, um den Anfall zu stoppen?
Das Herz rast. Du kannst das Gefühl bekommen, ohnmächtig zu werden, zu schwitzen oder du hast ein Druckgefühl in der Brust. Was kannst du selbst tun? Manchmal hilft es, einfache Vagusmanöver zu machen:
Kaltwasser-Schock: Gesicht in eiskaltes Wasser tauchen oder einen Eisbeutel ins Gesicht halten oder einfach einen Schluck kaltes Wasser trinken.
Valsalva-Manöver: Das funktioniert oft wirklich gut. Du atmest ein, hältst die Luft an und presst in den Bauch. Wie beim Pressen auf der Toilette – du hältst die Luft an und presst (15 Sekunden lang).
Wenn das nicht hilft: Notarzt rufen. Der spritzt Adenosin – ein Medikament, das das Herz kurz "neu startet" und die Tachykardie unterbricht.
6. Diagnose – so wird sie gestellt
Im besten Fall wird beim Anfall ein EKG geschrieben – wie bei Lina. Das ist Gold wert. Danach folgen oft ein Belastungs-EKG, ein Langzeit-EKG und ein Herzultraschall. Und ich liebe das Rhythmustagebuch. Hier wird immer aufgeschrieben, wann das Herzrasen begonnen hat und wann es aufhört und was du vorher gemacht hast. Wenn das Herzrasen oft auftritt, nervt, aber im EKG nichts auffällig ist, kann man trotzdem eine elektrophysiologische Untersuchung in Ablationsbereitschaft planen.
Bei typischem, anfallsartigem Herzrasen bestätigt sich die Diagnose dann sehr häufig. Und es kann gleich die Verödung vorgenommen werden.
7. Katheterablation bei paroxysmalen Tachykardien
Wenn du häufige Anfälle hast oder sie als belastend empfindest, ist eine Katheterablation eine sehr effektive Therapie.
Was ist eine Ablation?
Unter lokaler Betäubung (oft in leichter Sedierung) wird ein dünner Katheter über die Leistenvene ins Herz geschoben. Dort wird mit Strom oder Kälte die fehlerhafte Leitungsbahn verödet – präzise, punktgenau.
Bei der AVNRT wird die "langsamen" Bahn verödet. Risiko: In sehr seltenen Fällen kann der normale AV-Knoten verletzt werden – dann braucht man einen Schrittmacher. Aber das passiert extrem selten (unter 1%).
Beim WPW wird die akzessorische Bahn gezielt zerstört – meist ganz ohne Risiko für den AV-Knoten.
Wie lange dauert das?
Die Ablation dauert etwa 1–2 Stunden, der Aufenthalt in der Klinik meist ein bis zwei Tage.
Erfolgsquoten
AVNRT: ca. 98–99% dauerhaft geheilt
WPW: ca. 95–98% dauerhaft geheilt
Bin ich danach geheilt?
In den allermeisten Fällen: Ja!
Die verödeten Bahnen wachsen nicht nach. Du bist in der Regel dauerhaft beschwerdefrei und brauchst keine Medikamente mehr.
Viele Menschen empfinden allerdings auch nach ihrer Verödungstherapie die einzelnen Extraschläge, die wir alle ab und zu haben, weiterhin als besonders unangenehm. Diese Extraschläge hatten früher das Herzrasen ausgelöst.
Und wenn ich es nicht machen lasse?
Dann musst du mit dem Risiko leben, dass die Anfälle wiederkommen – und vielleicht genau dann, wenn du es gar nicht brauchen kannst: im Urlaub, im Job, beim Sport.
Bei WPW kann im schlimmsten Fall ein Vorhofflimmern mit sehr schnellen Überleitungen lebensbedrohlich werden – das ist selten, aber möglich. Deshalb sollte bei einem WPW-Syndrom eine Verödung angestrebt werden.
Linas Entscheidung
Lina hat sich für die Ablation entschieden – und sie war erfolgreich. Keine Anfälle mehr, kein Herzrasen, kein Stress. Wenn du ähnliche Symptome hast: Lass es abklären. Die moderne Kardiologie kann dir sehr gut helfen.
8. Ist ein WPW-EKG (ohne Herzrasen) eine Zeitbombe?
Harald B. ist 59 Jahre alt, kerngesund, Nichtraucher. Ein bisschen Bauch vielleicht, aber sonst: alles im Rahmen.
Seine Augenlinse soll wegen grauem Star mit einer Kunstlinse ersetzt werden. Die Welt soll endlich wieder scharf werden – das ist sein Geburtstagsgeschenk zum 60. an sich selbst.
Im Routine-EKG beim Hausarzt dann die automatische Analyse: Abnormales EKG, wahrscheinlich Hinterwandinfarkt, abgelaufen, schreibt das Gerät – das sitzt. Herr B. starrt das Papier an, der Puls zieht an, das Geburtstagsessen rückt gefühlt in weite Ferne.
Der Hausarzt bleibt ruhig, schaut sich das EKG genauer an – und erkennt: Keine Infarktzeichen. Dafür aber etwas anderes, seltenes: eine Deltawelle. Die PQ-Zeit ist verkürzt, der QRS verbreitert, und die charakteristische "schräge Rampe" zu Beginn des QRS-Komplexes verrät: Herr B. hat ein Wolff-Parkinson-White-EKG.
"Ich schick Sie doch mal zum Kardiologen", sagt der Hausarzt.
Bei Harald B. ist eine zusätzliche elektrische Leitungsbahn zwischen Vorhof und Kammer im Ruhezustand aktiv, sichtbar als Deltawelle – aber: Er hat noch nie Herzrasen gehabt. Kein einziges Mal.
Warum ist das trotzdem nicht harmlos?
Die Entscheidung, was man mit so einem Befund macht, hängt davon ab, ob die Bahn auch bei schnellen Frequenzen leiten kann.
Dazu machen wir eine Belastungsuntersuchung (Ergometrie).
Denn: Wenn bei höherem Puls die Deltawelle verschwindet, heißt das, dass die Bahn bei schnellen Frequenzen nicht mithalten kann – also harmloser.
Bleibt die Deltawelle bestehen, ist Vorsicht geboten. In dem Fall ist die Bahn potenziell schnell leitend.
Und genau das ist das Risiko: Wenn Harald B. irgendwann – z. B. im Alter – Vorhofflimmern bekommt (was bei über 60-Jährigen keine Seltenheit ist), könnte das ungefiltert über die akzessorische Bahn zur Kammer durchschlagen.
Der AV-Knoten würde in dem Fall ausgebremst – aber die Nebenbahn nicht.
Das kann zu Kammerfrequenzen von über 250 Schlägen pro Minute führen – und im schlimmsten Fall zu Kammerflimmern.
👉 Das Risiko für plötzlichen Herztod bei einem asymptomatischen WPW-EKG liegt bei ca. 0,1 bis 0,45 % pro Jahr, wenn die Bahn schnell leitet – das klingt wenig, ist aber nicht nichts. Gerade wenn man bedenkt, dass das Herz plötzlich und ohne Vorwarnung entgleisen kann.
Herr B. tut sich schwer. Keine Symptome, keine Beschwerden – und dann eine Ablation? Ein Eingriff am Herzen?
Herr B. entscheidet sich. Nicht sofort. Er schläft ein paar Nächte drüber. Spricht mit seiner Frau, googelt, fragt bei seinem Kardiologen nach. Und dann sagt er:
"Ich will nicht mit so einem Zeitbombe-Gefühl im Bauch durch die Gegend laufen."
Die Bahn wird gefunden und erfolgreich verödet. Keine Deltawelle mehr.
Ein paar Tage später steht er bei seinem 60. Geburtstag auf dem Balkon, mit klarem Blick – im doppelten Sinn. Die Welt ist wieder scharf. Und ruhig.
Rückblick und Ausblick
Früher, in einer Zeit, in der es weder EKG noch Ablation gab, war Herzrasen ein Mysterium. In Rom schrieb man es dem Zorn der Göttern zu. Im Mittelalter befürchtete man manchmal sogar, dass der Kranke von einem bösen Dämon besessen sei. Beruhigende Kräuter, Aderlass oder Gebete waren oft das Einzige, was man tun konnte.
Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts konnte man solche Bahnen teilweise mit Medikamenten kontrollieren – oder auch nicht. Und Nebenwirkungen waren oft ein Thema.
Die Patienten mussten mit der Angst leben, dass ihr Herz jederzeit "ausbrechen" konnte. Erst in den 1980er-Jahren gelang es, diese Bahnen gezielt mit Kathetern zu veröden – ein medizinischer Durchbruch, der Leben veränderte.
Heute stehen wir an einem Punkt, an dem wir nicht nur diagnostizieren und behandeln, sondern oft sogar heilen können.
Die Katheterablation ist sicher, präzise und in den meisten Fällen dauerhaft erfolgreich.
Doch so weit wir auch kommen: Alles beginnt mit einem Moment, in dem jemand spürt: "Mein Herz schlägt anders."
Und genau dann lohnt es sich, hinzuhören – denn heute haben wir die Mittel, um dem Herzen wieder seinen Takt zurückzugeben.